Hänschenfest – nichts bleibt, wie es ist

Ja, ich bin ein Dietemann, weil ich hier geboren bin. Eigentlich bin ich wie die meisten im Kreis hier in Eschwege geboren. Müsste ich es genau definieren, dann dürfte fast kein Wanfrieder ein echter Wannefreeder, sein, so er denn nicht in Hausgeburt zur Welt kam. Denn ein richtiger Wanfrieder ist man nur mit Geburt im Ort oder wenn man viele viele Jahre dort lebt. Gut, das ist Haarspalterei und ich will ja eigentlich über das Eschweger Johannisfest schreiben.

Zwei Jahre ist es ausgefallen. Corona. Wir wissen es alle. Lockdown hier, Masken da, dort Montagsspazierer, ausgefallene Veranstaltungen in Massen, darunter eben auch das Eschweger Johannisfest.

Das Johannisfest ist ein Fest der Traditionen. Jeder Eschweger bekommt schon so Mitte Juni so ein zappeln in Hände und Füßen und wenn man nicht in Dietemann-City lebt, dann will man nach Hause. Johannisfest, das ist mehr als nur ein Heimatfest. Johannisfest ist ein Gefühl. Es gibt Menschen – zu denen zähle ich auch, nach deren Zeitrechnung das Jahr nicht von Neujahr zu Silvester, sondern von Johannisfest-Montag zu Johannisfest-Montag geht. Feuerwerk. Ein neues Jahr beginnt.

Ich muss aber zugeben, Johannisfest 2022. Es ist nicht mehr das, was es einmal war.

Für mich war der Johannisfestanfang immer Freitag Abend und abgesehen von einer Ausnahme, wo die Höhner vor Ort waren, die das Festzelt am Donnerstag. Der Johannisfestreiter kam donnerstags abends so zwischen 19 und 19:30 Uhr bei mir am Haus vorbei, wurde von den Nachbarn weiter besoffen gemacht, stieß ins Horn und Freitag war Bratwurstheiligabend.

Ich kann mich noch erinnern, dass freitagabends Bratwurstheiligabend in der Stadt war. An jeder Ecke gab es Bratwurst. Wirklich an jeder. Dazu wurde auch im Steinweg am Brunnen gefeiert oder bei Janz, später Helco, wo Musik spielte und Spielzeugbälle vom Dach geworfen wurden. Bei Karstadt auf dem Parkplatz, aber im Hof der nicht mehr existierenden Metzgerei Schellhas wurde Ochse gegrillt. Lecker.

Heute gehe ich durch die Stadt und sehe kaum noch Bratwurststände. Gut, man muss fair sein, es gibt ja auch fast keine Metzger mehr in der Stadt. Mit Manegold und Haase haben die letzten Traditionsbetriebe altersbedingt zugemacht. Nachfolger Fehlanzeige. Beck, Fey kommen irgendwo von umliegenden Dörfer und Reimann kommt aus dem Eichsfeld und gehört für mich eher in den Bereich Großmetzgerei, da man zwischen Erfurt und Niedersachsen in fast jedem größeren Einkaufszentrum eine Filiale dieser Kette findet. Woher soll der Bratwurst Heiligabend denn kommen?

Johannisfestfreitag, das waren lange Jahre auch die „Reifen Herren“. Mit viel Lokalkolorit wurden bekannte Lieder umgetextet und dann zu Hits wie „Sekt ja, Selters Nie“, „Werraland“, „Hab gekotzt auf dem Heimweg“ oder auch „Bratwurst-Junkie“, ein Lied was zumindest an Johannisfest auf mich passt wie die Faust aufs Auge.

Mittlerweile bestellt die Stadt die Musiker und die Ständlebauer zahlen dafür eine Abgabe. Eigenes spielen dabei die wenigsten Bands, es werden eigentlich immer die gängigen Hits, die man auch im Festzelt spielen könnte, gecovert. Mutig fand ich dabei den Kreisjugendring, der wie jedes Jahr am Hospitalplatz seine eigene Bühne stellte, mehrere Bands einlud und tönte, dass man eine Alternative zu der üblichen Coverspielerei bieten wollte. Ich mag mich irren, aber wo ich so zwischen 22 und 23 Uhr dort vorbeikam, spielte eine Band quasi ein Medley der größten Rockhits aus den 80er und 90er Jahren. Alternative zur Coverspielerei? Ja, klar. Aber ist ja egal, Hauptsache die Stimmung stimmt.

Samstag ist Maienzug. Hier fällt auf, je älter die Kinder, umso kleiner die Maie. Das war schon zu meinen Schulzeiten so. Dass man sich aber über das Gewicht der Fahne aufregt, kann ich nicht verstehen. Mittlerweile haben alle Schulen neue Klassenfahnen. Dort hängen bestenfalls noch die Bändchen der Fahnenträger der letzten 10, 20 Jahre dran. Zu meinen Zeiten hingen gefühlt noch die Bänder fast halben oder dreiviertel des letzten Jahrhunderts dran. Trocken hast Du als Erstklässler die Fahne ohne Hilfe schon kaum heben können. Ich war in der ersten Klasse Fahnenträger und es hat geschüttet und diese verdammten Bänder sogen sich mit dem Regenwasser voll und wurden mehrmals so schwer. Das war schwer.

Eschwege hat den Luxus, eine Vielzahl an Musikzügen zu haben. Fanfarenzug, Marchingband Dietemann, Rotjacken und ihre Rotjacken-Kids, mindestens 4 Schulen haben Schulspielmannszüge. Anderen Orts gibt es nicht mehr so eine Vielfalt. Leider muss man hier sagen. Aber das heißt lange nicht, dass alles gut ist.

Die Marchingband Dietemann, früher mehrfacher Deutscher Meister bei den Spielmannszügen, konnte heuer keine Gruppe aufstellen, die bei den Zügen mitläuft, zumindest waren sie nicht zu sehen. Schade, ich habe deren Sound immer gemocht.

Die Spielmannszüge wecken seit je her sonntags die Eschweger. Naja, früher vielleicht. Da ist halb sieben, meist der erste Spielmannszug den Höhenweg hoch marschiert, während der Spielmannszug der nahen Alexander-von-Humboldt-Schule sich sammelte. Seit einigen Jahren marschieren bestenfalls noch die Schulspielmannszüge. Scheinbar ist es darüber hinaus Tradition geworden, mit kleiner Besetzung und Kleinbussen von Auftritt zu Auftritt zu fahren. Was wohl Greta dazu sagen würde?

Irgendwie muss der Bürgermeister in den zwei Jahren, wo das Fest nicht stattgefunden hat, einiges aufgestaut haben. Um mich herum auf dem Obermarkt auf das Platzkonzert der Musikzüge wartend, standen etliche Leute, wo dann Sprüche in der Richtung „Der labert auch jedes Jahr länger“ fielen. Aus meiner Sicht sollte man sich aber eher über die Beschallung Gedanken machen. Die mag auf dem Marktplatz noch gehen, sobald man aber etwas seitlich des Rathauses steht, sei es auf dem Obermarkt oder in der Marktstraße hört sich das ganze schon recht befremdlich an. Wenn ich einen Vergleich heranziehen müsste, dann würden die Szenen aus dem Film „Mars Attacks“, wo die Außerirdischen mit ihrem „Ak-Ak-Aak…“ sprechen am besten passen. Makaber und surreal zugleich.

Der Festzug sollte eigentlich kreativer werden, wo man vor Jahren die „Mottos“ einführte. Bunter ja. Kreativ? Irgendwie habe ich das Gefühl, dass man überall dieselben Ideen hat. Beim Thema „Brücken bauen“, haben sich zumindest die Hersteller der Styropor-Poolnudeln gefreut, die zu Bögen gekrümmt wurden. Ob ein Voting über die schönsten Motive und 300 Euro für die Klassenkasse hier zu mehr Kreativität helfen würden?

Das Johannisfest ist eigentlich ein Fest der Schulen und Schüler. Gut ich weiß auch, das anderen Orts die Vereine reichhaltiger sich an den Festzügen beteiligen. Dafür habe ich lange Jahre für werraland.net Fotos und Videos zwischen Witzenhausen und Treffurt gemacht. Für meinen Teil braucht es aber nicht, das das halbe Rathaus vorneweg mitzulaufen. Bürgermeister, vielleicht hoch die höchsten Posten des Magistrats, das reicht. Mehr schicken ja manche Städtepartner auch nicht.

Der Festplatz macht nun schon auch Freitags auf. Familientag. Sonderpreise. Nur bis frühen Abend geöffnet, man will ja nicht der Innenstadt Konkurrenz machen. Nette Sache, nur etwas stieß mir auf. Es waren einige Lücken am Freitag auf dem Platz. Gut, das sollte klar sein, ein Teil der Buden ergoss sich noch zwischen Marktplatz und Stad in der Innenstadt. Die meisten Bedienungen waren auch in der Stadt. Also blieben Zelt und Trinkbuden zu. Ein Festplatz ist für mich jedoch kein Festplatz, wenn an dem Abend die Krönung der Getränke die man vor Ort bekommt ein Monster Slush ist. Schmeckt zwar auch, spült aber nicht die Pommes runter.

So einiges hat sich am Festplatz geändert. Das Zelt fasst mittlerweile fast 4000 Leute. Ändert aber nichts daran das zum Auftakt. Sorry, das heißt ja heute „Opening“ die Hütte bestenfalls halbvoll war. Die Grabowskis luden zum Großauftrittt. Es ist kein Geheimnis, das ich diesen Barden nichts abgewinnen kann. Was ich eher befremdlich finde, ist das man vor Jahren festgestellt hat, das Donnerstags Zelt mit teuren Eintritt kein Sinn macht, weil zuwenig zahlende Gäste kamen und dann hat man auf ein kostenfreies „Light“-Programm umgestellt. Und nun fängt man wieder mit Eintritt an, wo eine Familie schnell mal einen Fuffi los ist, bevor das erste Bier bestellt wurde. Wenns schön macht?

Ich fand den Donnerstagabend mit Kränzewickeln und Bratwurst in der Innenstadt schöner und hunderte anderer Eschweger scheinbar auch.

Auf dem Platz vermisste ich so einiges. Was ist aus den klassischen, alten Losbuden geworden? Wo war die Losbude mit den Pflanzen? Gut, der Macher sah die letzten Jahre schon nicht mehr gesund aus, keine Ahnung, ob es den Schausteller noch gibt. Auch habe ich das Gefühl, dass die Quote mehr zum Essen und Trinken geht, als dass man etwas machen kann. Aber Gefühle können täuschen.

Für viele ist die Krönung die Sammlung der Johannisfestplaketten. Ich kann sagen: Ich habe sie nicht mehr alle. Die diesjährige fand ich einfach nicht schön, auch kann ich der Institution, der sie gewidmet ist, nicht viel abgewinnen. 25 Jahre. In der Zeitrechnung einer über 1000jähigen Stadt noch im Windelalter. Da hätte es sicher anderes gegeben, was man auf die Plakette hätte bringen können. Aber da tut man sich schon einige Zeit schwer. Wenn ich in die Verlegenheit kommen würde eine Plakette tragen zu wollen, würde ich eher in meine Sammlung greifen und eines der schönen Motive aus den früheren Jahren wählen.

Immerhin eins ist geblieben. Das Treffen alter Freunde und Bekannter, ehemaliger Klassenkameraden. Irgendwie hat das noch einen Funken der Rühmannschen Feuerzangenbowle. Jeder der in und um Eschwege mal gelebt hat, versucht wieder hier zu sein. Und viele habe ich auch gerne wiedergetroffen und mit ihnen gefeiert. Wer weiß, wie viele Feiern man noch vor sich hat.

Nächstes Jahr ist es 30 Jahre her. 30 Jahre Abitur. Vor dreißig Jahren verließ ich wie etwa 45 anderer Penäler/-innen das Berufliche Gymnasium. Einer der kleineren Jahrgänge dafür vermutlich einer der familiärsten den es gab. Wahrscheinlich wird es eine große Feier geben. Man wird beim Festzug als „Ehemaligen Gruppe“ mitlaufen wollen. Letzteres verkneife ich mir lieber, aber darüber alle Damaligen – so sie denn noch leben – wiederzusehen, würde ich mich freuen.

„Wahr sind nur die Erinnerungen, die wir mit uns tragen, die Träume, die wir spinnen und die Sehnsüchte, die uns treiben, damit wollen wir uns bescheiden…“, vielleicht ist es dieser Spruch aus der Feuerzangenbowle, der einen die Erinnerungen an frühere Johannisfeste so süß erscheinen lässt.

Das Feuerwerk war prachtvoll. Wir sind wieder im Jahr nach dem Johannisfest nach Eschweger Zeitrechnung. Und geht man nach den Statistiken, dann war Corona sehr erfreut, mit uns feiern zu dürfen. Wenn ihr es verpasst habt… Kein Problem, das Virus wird gerne auch das Open Flair freudig mit uns feiern. Ich warte derweil auf den nächsten Bratwurstheiligabend und damit verbundenen Erinnerungen.

Foto: Norbert Beck und canva PRO / Beitragsbild-Layout: canva PRO und Norbert Beck

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