Es sollte ein wundervoller Tag werden. Überraschend. Denn Tag für Tag meldete die Wettervorhersage für diesen Feiertag Regen. Irgendwie, wie von Geisterhand, änderte sich der Wetterbericht auf einmal. Sonne, vielleicht ein paar harmlose Wolken. Perfekt für meinen Plan.
Schiffe sind ja nett, aber an diesem Tag zogen mich alte Züge magisch an. In der Nähe, wie ein stilles Versprechen, lockte ein Bahnhof mit genau diesen nostalgischen Ungetümen. Mit etwas Glück, so munkelte man, fuhren sie sogar auf den Brocken. Was für eine Aussicht! Leider musste ich an diesem Tag ohne diese erleben.
Eigentlich fing der Tag famos an: Frühes Aufstehen ohne Gelenkschmerzen, fixer Start im Auto. Nur der Akku meines treuen Gefährten zierte mit kläglichen 60% und die Restreichweite von 200km prophezeite einen Zwischenstopp in Nordhausen zum Aufladen – knapp 100km von meinem Ziel entfernt.
Mein Navi, ein enthusiastischer Entdeckergeist, versuchte mich im Eichsfeld auf eine abenteuerliche Baustellen-Rallye zu schicken. 15 Minuten verbraten für einen Umweg. Plötzlich: Autos am Straßenrand, Fußgänger auf der Fahrbahn, angetrunken und zeifelhaft munter – wie aus dem Nichts materialisiert. Vatertag? Nein, nein, viel zu früh für derartige Ausschweifungen. Später sollte sich herausstellen, dass es sich um eine „Männerprozession“ handelte. Na klar.
Ordner waren sporadisch zu erkennen, wirkliche Ordnung aber Fehlanzeige. Diese Nummer kostete weitere wertvolle Zeit.
„Autobahnen vermeiden“ hatte ich meinem Navi klargemacht. Warum es diese Anweisung beharrlich ignorierte, sollte sich später klären. Die schlaue Handy-App ignorierte nämlich fröhlich die globalen Einstellungen, sobald ein spezielles Fahrprofil aktiviert war. Für die „optimierte“ Nutzung mit Android Auto zahle ich monatlich sogar 2,99€ – von Profilproblemen war allerdings nie die Rede.
Irgendwann erbarmten sich dann doch die Straßenschilder und wiesen mir den Weg nach Nordhausen. Voller Zuversicht folgte ich ihnen, sehr zum Leidwesen meines navigierenden Handys. Worbis passierte, dann diverse Dörfer – mein Zeitpuffer von eigentlich über 30 Minuten schmolz dahin.
In Nordhausen herrschte Baustellenchaos, doch mit etwas Geschick erreichte ich mein Ziel – zumindest fast. Denn vor Ort feierte man nicht etwa Vatertag oder Himmelfahrt, sondern den Bahnhof höchstpersönlich. Wow. Toll.
Also parkte ich etwas abseits bei einem Einkaufszentrum und schlenderte zum Bahnhof. Dort stand er in all seiner Pracht: Ein Zug mit fauchender Dampflok. Knapp, aber immerhin rechtzeitig.
Im Internet hatte ich bereits einige negative Rezensionen über mangelnde Höflichkeit und überfüllte Züge gelesen. Überfüllt sah der Zug zum Glück nicht aus. Also erstmal ab zum Shop.
In meinem Job wird auch manchmal über Kunden gelästert. Wo ist das anders? In einem Büro hängt sogar ein Schild: „Erst auflegen, dann stöhnen.“ Was ich allerdings vor dem Shop des Bahnhofs miterleben musste, war jenseits von Gut und Böse.
Drei Personen, vermutlich ein Zugbegleiter, eine Kontrolleurin und die Ticketverkäuferin, standen dort und lästerten munter über die Fahrgäste. Ich stand quasi direkt daneben, kramte in meiner neuen Geldbörse und hörte alles mit.
Leute gingen durch die Passage und wurden unfreiwillig zu Zeugen des Geschimpfes. „Warum nehmen die Leute nicht einfach einen früheren Zug?“, „Warum kommen die auf den letzten Drücker?“, „Hast du gesehen, wie der eine aussah? Ob der überhaupt in den Zug kommt?“ Unfassbar!
„Und dann in letzter Minute noch ein Ticket kaufen! Erst bezahlen, dann ausdrucken … was denken die sich eigentlich?!“ So etwas geht gar nicht!
Fahrgäste gingen an dieser Szenerie vorbei und hörten das Gelästere live mit.
Der negative Beigeschmack blieb. Kann man denn im Kundenservice nicht wenigstens so tun, als würde man seinen Job gerne machen? Mit einem Lächeln auf den Lippen und ein bisschen Freundlichkeit im Herzen geht doch gleich alles viel leichter.
Mit etwas Mühe wäre es wohl möglich gewesen, den Zug noch zu erwischen. Ein Ticket im Webshop oder ein freundliches Gespräch mit der Dame vom Shop („Zeigen Sie mir doch mal, wie schnell man hier ein Ticket kaufen kann!“) hätten es wohl richten können. Sicherlich hätte sie mir dann, wenn auch knurrend, eine Fahrkarte verkauft. Doch ich wollte nicht mehr.
Wer in der Öffentlichkeit derart unfreundlich agiert, bekommt von mir kein Geld – so einfach ist das.
Normalerweise gehe ich davon aus, dass Online-Bewertungen häufig überzogen und reißerisch formuliert sind. Leider traf dies hier leider zu.
Zunächst gönnte ich mir im Bahnhof ein leckeres Frühstück beim Bäcker.
Was ich an unserem Bahnhof in Eschwege besonders ärgerlich finde, ist der Mangel an öffentlichen Toiletten. Zwar gibt es im Gebäude des Verkehrsverbundes und des Bäckers eine, die allerdings nur zu den Öffnungszeiten der Geschäfte zugänglich ist.
Im Bahnhof von Nordhausen hingegen war weit und breit keine Toilette zu finden. Auch bei den zahlreichen Ständen des Bahnhofsfestes konnte ich kein mobiles WC entdecken.
Aber wenn man muss, muss man. Und gerade beim Urindrang sind die Möglichkeiten begrenzt.
Mein Navi versprach mir ein „Örtchen“ in nur 400 Metern Entfernung. Also schlenderte ich die Flaniermeile des bescheidenen Bahnhofsfestes entlang, überquerte die Zorge, einen kleinen Fluss, der den Ort durchzieht, und wurde bitter enttäuscht.
Die dortige Toilette war offenbar schon länger außer Betrieb. Die Tür war nicht nur verschlossen und ein Schild mit „Außer Betrieb“ prangte darauf, sondern die Tür war sogar versiegelt.
Ein weiteres WC sollte angeblich weiter oben in Richtung Altstadt zu finden sein. Der Weg zog sich hin, doch zum Glück war diese Notdurft geöffnet. Nutzerfreundlich sah allerdings anders aus. Und lauft mal eben 1 1/2 Kilometer, wenn ihr mittlerweile recht dringend müsst.
Kaum hatte ich auf dem Sitz Platz genommen, erlosch das Licht und ich saß im Dunkeln. Stockdunkel. Ob man sich nun in der Kabine bewegte oder nicht, spielte keine Rolle: Das Licht ging erst wieder an, wenn im Gang vor der Tür Bewegung wahrgenommen wurde. Tolles Klo!
Ich habe schon viele Städte gesehen, aber in Nordhausen möchte ich nicht leben.
Zwar wurde einiges erneuert, wieder aufgebaut und auch neu errichtet. Besonders zwischen Bahnhofstraße und Altem Rathaus reiht sich Baustelle an Baustelle, was verspricht, dass in Zukunft noch mehr erneuert wird. Aber schön ist anders. Mir fehlt einfach das Flair einer historischen Altstadt.
Als ich die zwei Flaschentürme sah, fühlte ich mich an eines dieser T-Shirts erinnert, auf denen steht: „Meine Familie war im Urlaub und alles, was ich mitgebracht bekommen habe, ist dieses T-Shirt“.
Feiern können groß sein, feiern können klein sein. Dieses Bahnhoffest war jedoch keins von beidem. Wenn ich das Fest toll nennen würde, müsste ich in die Kirche zum beichten.
Entlang der Bahnhofstraße erstreckte sich eine Fidschimeile mit allerlei asiatischem Trödel, ein paar Fressbuden, zwei Karussells oder Kinderspielmöglichkeiten und schließlich der Bahnhofsvorplatz. Dort lockten drei Bratwurstände, diverse Getränkeangebote und eine Bühne, auf der Ballermann-taugliche Musik vom Band dröhnte. Zwischen den Liedern moderierte eine Dame, die optisch und stimmlich eine Mischung aus Marianne und Michael zu sein schien, und quälte die Besucher mit Fragen nach ihrer Herkunft. Altbacken und peinlich zugleich, der Begriff „Fremdschämen“ drängte sich mir unwillkürlich auf.
Für E-Auto-Fahrer gibt es vor Ort einige Ladestationen, darunter auch eine von enbw beim Lidl. Doch Vorsicht: Laden kann hier teuer werden! Die Parkraumüberwachung wird von der Münchener Firma Park-Depot übernommen und scheinbar gilt auch am Wochenende die Regel, dass man den Parkplatz nur 15 Minuten kostenlos nutzen darf. Da beim Ein- und Ausfahren die Kennzeichen fotografiert werden, flattert einem schnell ein Brief ins Haus, in dem man 25 Euro oder mehr für die Parkplatznutzung zahlen soll. Zwar werden diese horrenden Forderungen in der Regel zurückgenommen, wenn man nachweist, dass man an der Ladesäule geladen hat, aber fair ist das definitiv nicht und Spass macht die Kommunikation mit dem Parkraumüberwacher ebenso wenig.
Mein Auto hatte ich zuvor an einer anderen Ladesäule aufgeladen. Erstaunlicherweise zog es erstmals mit voller Leistung Strom. In nur 30 Minuten stieg der Ladezustand von 10% auf 81% – beeindruckend schnell!
Nachdem ich mein Navi davon überzeugt hatte, keine Autobahn zu nutzen, führte mich der Heimweg über Mühlhausen. Wie bereits erwähnt, bot die Hinfahrt schon einige skurrile Erlebnisse. In Mühlhausen angekommen, erwartete mich ein ähnliches Bild: Besoffene Männer torkelten über die Straßen und zugeparkte Straßenränder machten ein Durchkommen teilweise fast unmöglich. Ich werde es wohl nie verstehen, wie Menschen sich derart daneben benehmen können.
Zuhause angekommen, entdeckte ich immerhin ein kleines Lichtblick: Ich hatte knapp 14.000 Schritte zu Fuß zurückgelegt. Immerhin etwas Bewegung…
Foto: Norbert Beck / Beitragsbild-Layout: Norbert Beck
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- Einst wollte er nur laufen. Dann kamen gesundheitliche Rückschläge und die Pflege eines Angehörigen, was zu einem jahrelangen Leben am gesundheitlichen Limit führte. Nun ist er wieder auf dem Weg zurück und sagt immer noch: „Ich bin schlank, man sieht doch nichts!“ Seine Ziele: gesünder leben, Kilos verlieren, Spaß haben und irgendwann wieder laufen.
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